Wildwechsel, Ehrengräber und wenig Verkehr: Der Rundkurs auf dem Wiener Zentralfriedhof ist sehr speziell. Wir waren mit zwei Chauffeuren auf der Linie „ZF“ unterwegs.
Nach dem Friedhof Ohlsdorf in Hamburg (390 Hektar) ist der Wiener Zentralfriedhof mit einer Fläche von 250 Hektar der zweitgrößte Parkfriedhof der Welt. Bei der Reihung nach Grabstätten sieht es aber genau umgekehrt aus: 330.000 Grabstellen auf dem in Wien-Simmering gelegenen Zentralfriedhof stehen 202.000 in der Hansestadt gegenüber.
Eine Gemeinsamkeit haben beide Friedhöfe: sowohl in Hamburg (hier sind es die Linien 170 und 270 der Hamburger Hochbahn) als auch in Wien gibt es einen regelmäßigen Linien-Betrieb. Als „Service der Friedhöfe Wien“ wird aktuell die Linie „ZF“ (vormals „106“) vom Verkehrsunternehmen Dr. Richard betrieben. Wir haben die Stamm-Fahrer Hasim Mujic und Radivoij Petrovic an zwei unterschiedlichen Tagen auf ihren Touren begleitet.
21 Haltestellen
Die Rundlinie „ZF“ (für Zentralfriedhof) ist 7,5 Kilometer lang und bedient 21 Haltestellen. Sie beginnt und endet bei der Station „Tor 2“ nahe beim Haupteingang. Weitere Haltestellen des Friedhofs-Busses heißen etwa „Friedhofsgärtnerei“, „Gruppe 152“ oder „Halle3, Gruppe 40“. Die Linie „ZF“ kann mit gültigen Tickets der Wiener Linien benützt werden, außerdem gibt es eigene Fahrkarten („gültig zum sofortigen Fahrtantritt“) um 0,60 Euro. Die Chauffeure zeigen sich aber sehr nachsichtig bei Passagieren, die gerade nicht das passende Kleingeld parat haben … Mit rund 34.000 Kilometer wird die Jahresfahrleistung des 12-Meter-Niederflurbusses angegeben.
Kein Stress
„Das ist eine Linie ganz ohne Stress“ erläutert Hasim Mujic bevor er uns auf die 22 Minuten dauernde Reise mitnimmt. Diese Aussage gilt nicht nur für die nicht ganz so strenge Überprüfung und Einforderung des Beförderungsentgelts, sondern auch für die Stimmung an Bord seines MAN Lion’s City. Das Hauptkontingent der Fahrgäste stellen ältere Damen, die die Gräber ihrer Ehemänner betreuen und Touristen aus aller Welt, die die zahlreichen Ehrengräber von Musikern und anderen Prominenten besuchen wollen.
Hasim Mujic ist dabei ein sehr kompetenter Auskunftgeber. Schnell merkt man ihm an, dass er fast alles über die wichtigsten Grabstellen auf dem Zentralfriedhof zu wissen scheint. Selbst Ex-Beatle John Lennon war bei seinem kurzen Besuch über die hohe Dichte der Gräber musikalischer Genies in unmittelbarer Nähe beeindruckt: Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven, Franz Schubert, Johannes Brahms und die Strauss-Walzerdynastie.
Blumen für die Stars
„Auch die Gräber von Udo Jürgens und Falco sind bei vielen unserer Fahrgäste sehr gefragt“, ergänzt Radivoj Petrovic. DAs Grabmal des berühmten Schlagersängers („Griechischer Wein“, „Aber bitte mit Sahne“) stellt einen mit einem weißen Tuch verhüllten Konzertflügel dar und ist mit Fotos und Blumen geschmückt, auch bei der letzten Ruhestätte von Österreichs erstem Popstar mit Weltgeltung („Der Kommissar“, „Rock me Amadeus“) finden sich zahlreiche Kränze und frische Blumen.
Regelmäßig sieht man Rehe
Hasim Mujic und Radivoj Petrovic sind zwei Gentleman-Fahrer. Wenn sie Passagiere abseits einer Haltestelle entdecken, werden selbstverständlich die Türen des Busses auch zwischen zwei Stationen geöffnet. Für Stammgäste legen sie auch einen Halt direkt vor dem Familiengrab ein. „Wir sind hier mit nicht mehr als 25 km/h unterwegs“, präzisieren die beiden Fahrer. In den weitläufigen Wiener Zentralfriedhof kann man gegen Entrichtung einer Gebühr auch mit dem eigenen Pkw fahren, außerdem sind viele Fußgänger und Jogger zu berücksichtigen. An manchen der zum Teil recht engen Kurven sind die beiden Lenker besonders vorsichtig: Sie wissen um die Lieblingsplätze der auf dem Zentralfriedhof lebenden Rehe. „Es gibt zwei stellen, wo wir sie regelmäßig sichten.“ Auch für die Fotos haben wir Glück, auf beiden von uns begleiteten Runden konnten wir die wenig scheuen Tiere ablichten.
Begeisterte Lenker
Beide Chauffeure haben ihre Berufslaufbahn mit dem Lkw gestartet und sind ausgeprägte Familienmenschen. Hasim Mujix ist 55, zweifacher Vater und seit 2007 Busfahrer und das mit Leib und Seele: „Ich liebe meinen Beruf, er macht mir große Freude!“ Ähnlich begeistert zeigt sich Radivoj Petrovic, der seit 2011 Busse lenkt. „Busfahrer zu sein, ist mein Job und Hobby zugleich“, bringt der dreifache Vater und neunfache Opa seine Einstellung zum Beruf auf den Punkt. Den Herren ist die Bus-Begeisterung wirklich anzumerken. Schade, dass wir schon wieder an der Ausgangsstation angekommen sind.
Süße Endstation
Nicht untypisch für Wien wartet aber an der Endstelle der Linie „ZF“ aber ein weiteres Highlight. Die Filiale der „Kurkonditorei Oberlaa“, wo sich Autor und Fotograph nach der Bustour mit Guglhupf, Sachertorte mit Schlagobers sowie den Wiener Kaffeespezialitäten „Melange“ (Kaffee mit einer Haube aus geschäumter Milch) und „Einspänner“ (Espresso mit dicker Schlagobershaube und Staubzucker) verwöhnen.
Quelle: Öbus / Andreas W. Dick, Reinhard Zimmermann, Dezember 2021